Ein Tag mit meinen Igel-Wintergästen
In diesem Jahr heißen die meisten meiner Igel nach dem Vornamen der Igelfreunde, die sie brachten. Jedes Tier hat als eigenes Reich einen Karton mit möglichst großer Grundfläche für sich alleine. Der Karton ist ausgelegt mit dünnerer Pappe und mit Zeitungspapier, damit die “Geschäftchen“ gut zu beseitigen sind und nicht gleich eine neue Behausung gebraucht wird. Aber einige meiner kleinen Rabauken haben die Erfahrung gemacht, dass man aus Pappe in wenigen Stunden ein genügend großes Loch herausknabbern kann, durch das man hinaus aber auch wieder hinein klettern kann, ganz wie man Lust hat. So haben sie die Möglichkeit, sich mit den anderen Igel zu treffen oder sich zurück zu ziehen, doch das muss nicht immer die eigene Wohnung sein. Auf den Kästen stehen ihre Namen und die farbliche Kennzeichnung, die die Tiere auf den Rückenstacheln tragen, denn Fressen sollte jeder nur in seinem Bereich bekommen. Bei manchen Igeln müssten jeden Tag die Knabberstellen zugeklebt werden. Da wären die Tiere sehr unglücklich, und eine Verletzungsgefahr der Augen an zu harter Pappe besteht auch immer, wenn sie emsig, fast wütend, versuchen, den Weg nach draußen wieder herzustellen. Berta z.B. kann man nicht in ihrem Kasten zurückhalten, und für Fred habe ich selbst das Loch in seinem Kasten erweitert, damit er nicht jedes Mal mit seinem dicken Hinterteilchen in dem zu engen Ausgang beim „Nix wie raus“ hängen blieb. Er hat einfach nicht kapiert, dass er selbst mit einem weiteren kurzen Knabber-Einsatz den Weg in die Freiheit komfortabel hätte gestalten können.
Heute standen keine besonderen Aktionen an. Morgens, so gegen 900 Uhr, schliefen alle, ihre Bettchen aus zerrissenen Zeitungsseiten waren sauber. Gegen 1600 Uhr bekommen sie eine kleine Mahlzeit und können bis dahin ungestört schlafen.
Am Nachmittag waren die meisten putzmunter und warteten aufgeregt auf ihr Futter. Selbst Finn, der die ganze letzte Woche verschlafen hat, war aufgewacht, und auch Ruppert und Levi 5, die ebenfalls einige Tage schlummerten und ihr Fressen nicht anrührten, schauten neugierig unter ihrer Zeitung hervor. Berta und Levi 3 waren ausgebüxt, kamen aber schnell angelaufen, um sich in ihren Kasten setzen zu lassen und ihr Deckelchen mit Futter in Empfang zu nehmen, gerade so als würden sie zu Tisch kommen. Nach Fred habe ich nicht gesucht. Bis ich die anderen Kästen gereinigt und mit einer sauberen, auf die zur Hälfte gefalteten Zeitungsseite als “Tischtuch“ ausgelegt hatte, liefen Berta und Levi 3 schon wieder hinter mir her und taten als hätte ich vergessen sie zu füttern. Wenn ich da nicht noch einen “Nachschlag“ bewillige, versucht Berta mich in die Füße zu beißen. Den Igelraum betrete ich nie mit Schuhen, weil ich beim Saubermachen nicht ständig hinter mich schauen kann, ob da ein hungriges Tier sitzt, und mit den kleinen halben Socken zusätzlich bekleideten Füßen kann ich keinen verletzen. Wenn ich glaube, alle mit Futter versehen zu haben, lasse ich weitere 4 – 5 Igel frei laufen. Noch gehen die Tiere friedlich mit einander um, und es finden noch keine Rangeleien zwischen ihnen statt. Erwachsene Igel können sich ganz schön angiften und heftig angreifen. Aber sie fangen schon an, sich unfreundlich anzuschnaufen. Deshalb muss demnächst die “Freizeit“ eingeschränkt werden, und nicht jeder kann mit jedem laufen, denn für die schwächeren Tiere ist die Freizeit als Vorbereitung für die Auswilderung im Frühjahr kein Spaß mehr sondern, weil sie ja nicht wirklich weglaufen können, eine nervliche Belastung. Das kann man an der dunkelgrünen, dünnflüssigen Ausscheidung, die typisch für Angst ist, erkennen. Manche Igel dürfen öfter laufen, z.B. Miro, mein “Läuferchen“, der selbst in seinem Kasten hin und her rennt. Im Internet findet man die Angabe, dass das Verhalten solcher “Renn-Igel“ auf übermäßiger Energie beruht. Es muss aber auch andere Erklärungen geben, denn Miro bemüht sich weder um das anstrengende Zerkleinern von Zeitung noch um die kraftraubende Organisation des Ausbruchs, er fängt erst kurz vor der Fütterung an wie wahnsinnig herumzulaufen, bewegt sich aber ganz normal ruhig, wenn er gefressen hat oder mit den anderen Igeln Kontakt hat. Er war schon ein “Läuferchen“ als alle Tiere noch in Quarantäne gehalten wurden und in ihren Behausungen bleiben mussten. Aus der Literatur kenne ich Bespiele, die zeigen, dass Tiere manchmal ein zunächst zufälliges Verhalten mit der Belohnung Futter in Verbindung bringen. Für Miro würde das bedeuten, dass er gerade am Herumlaufen war als ihm Futter gereicht wurde, und er jetzt meint, Herumsausen sei die Voraussetzung Futter zu bekommen. Und darin habe ich ihn wohl bestärkt, weil ich das Rennen als “besonders hungrig“ gedeutet und ihn tatsächlich oft als ersten gefüttert habe. Wir haben uns also gegenseitig “konditioniert“.
Wenn ich gegen 2200 Uhr die Igel zur Hauptfütterung wieder einsammle, sieht der Igelraum wie ein Schlachtfeld aus. Auf den Zeitungen, die den Fußboden schützen, liegen überall verteilt saftige Kothäufchen als Tretminen, und gelbe Flecken verraten, dass da nicht reines Wasser aus dem Trinknapf verkleckert wurde. Igel sind so ähnlich wie man es von Hunden kennt: Man muss den anderen mitteilen, dass man da war, und ihnen etwas zu riechen geben. Dazu sind Urin und nicht vollständig verdauter Nahrungsbrei besonders gut geeignet, weil leichter auszuscheiden und kräftig duftend. Ersatz schmutziger Zeitung durch Auslegen sauberer Seiten auf meiner gesamten Laufstrecke und Fenster öffnen erfolgen zuerst, dann kommen die Kästen dran. Reste des Trockenfutters, schmutzige Zeitung und leere Deckelchen entfernen, neue Zeitung, bei “Nestbauern“ z.T. schon in schmale Streifen gerissen (ein Teil der alten Füllung muss aber bleiben, damit der “private“ Geruch der Behausung durch die Druckerschwärze der neuen Papiere nicht total überlagert wird. Die Igel, die nicht unterwegs waren, werden gleich gefüttert, die anderen müssen warten. Da der Raum nicht besonders groß ist, stehen unter einigen Kästen umgekehrte große Obsthorden. Für den Menschen sind diese Unterschlupfe völlig gleich, für die Igel dagegen nicht. Offenbar bevorzugt wird der, unter dem Fred sitzt. Bis zu 4 Tieren versammeln sich darunter. Während Fred seinen Unterschlupf als Schlafplatz sauber hält, ärgern die anderen ihn, indem sie seinen Schlafplatz “parfümieren“, d.h. jegliche Zeitung muss hier ausgetauscht werden. Die Säuberungsaktion, das Zurücksetzender Igel in die richtige Behausung kosten mindestens 1½ Stunden Zeit, wenn ich nicht alles mehrfach absuchen muss, weil ein Igel zu fehlen scheint, weil er zwischendurch seine Behausung wieder verlassen hat, ganz unter der Pappe darin versteckt sitzt oder durch Fehlverteilung zwei in einem Kasten gelandet sind.
Vorteil dieser Großaktion jeden Abend: Bis zum nächsten Abend bleibt alles einigermaßen sauber.
Übrigens wiegt ein 50 l prall mit schmutzigem Papier gefüllter Müllbeutel ca.3 kg, folglich kommen, ohne Berechnung der erneuerten Pappe, 21 kg schmutzigen Papiers pro Woche zusammen, fabriziert von 15 Igeln, die alle zusammen bei der letzten Kontrolle ca. 8,12 kg nüchtern auf die Waage brachten.
Da ich nie voraussehen kann, wann eines der Winterschlafmützchen aufwacht, wird ihr Futter auch jeden Tag ausgetauscht. Bei zweimaliger Fütterung pro Tag müssen dann noch bis zu 30 eingesammelte Futternäpfchen in einem Eimer heiß und gründlich gesäubert werden.
Tiere, die eine besondere Betreuung brauchen, habe ich zum Zeitpunkt dieses Beitrages nicht.