Sprache der Igel

Haben Sie im Dunkeln im Garten schon einmal einen alten Mann husten gehört? Man erschrickt ganz schön, weil man sofort an einen Einbrecher denkt, der dabei ist, den besten Zugang zum Haus auszuspionieren. Es ist auch kein Geist aus früheren Zeiten, der sein Unwesen treibt, es ist nur ein Igel, der sich über irgendetwas ganz kräftig ärgert.    

Igel haben eine vielfältige Sprache. Am häufigsten jedoch hören wir sie “bellen“. Das klingt ähnlich wie das Abhusten von jemandem mit total zerstörten Bronchien. Viele Igelfreunde, auch Fachleute, halten das Bellen deshalb auch für Husten und für einen deutlichen Hinweis auf den Befall des Tieres mit Lungenwürmern. Die Fehldeutung ist verständlich, denn wenn man die Tiere in Pflege nimmt, bekunden sie die Freiheitsberaubung sehr energisch mit dieser Lautäußerung des Missfallens. Reagiert man nicht darauf und haben sich die Tiere in die fremde Umgebung eingewöhnt, bellen sie nur noch selten. Weil aber inzwischen meist auch eine Wurmbehandlung durch den Tierarzt stattgefunden hat, die Lungen geheilt sein könnten, würde das Husten auch aufhören.
Da ich immer nur wenige Igel habe, kann ich dieses Bellen gut deuten. Es wird zum Beispiel eingesetzt für:

  • Ich habe ein Pfützchen und ein Häufchen gemacht und brauche trockene Zeitung!
    Das bekomme ich fast jeden Tag zu hören. Wenn ich alle gerade sauber gemacht habe, bekundet einer mindestens, dass er einen zweiten Durchgang braucht, denn sie verhalten sich wie Babys (Immer in die frischen Pampers!).
    Solange die Tiere intensiver Pflege bedürfen (ich habe sie dann zur Kontrolle im benachbarten Raum), werde ich nachts durch dieses energische Schimpfen aus tiefstem Schlaf herausgerissen und entspreche den Wünschen, um die Wohnung möglichst geruchsfrei zu halten.
  • Beim Tierarzt gefällt es mir nicht. Hier riecht es nach Hunden, und die mag ich nicht. Ich möchte schleunigst weg!
  • Warum werden erst die anderen gefüttert? Ich habe auch Hunger. Hast du mich etwa vergessen?

Im Umgang mit Rivalen und tierischen Störenfrieden – zu denen ich offenbar auch gehöre – wird selten das Bellen eingesetzt. Hier ist jede Form des Fauchens die beste Ausdrucksmöglichkeit. Fauchlaute entstehen sowohl beim Einatmen als auch beim Ausatmen, klingen genauso warnend wie bei Katzen und haben auch die gleiche Bedeutung: “Hau ab, sonst gehe ich zum Angriff über!“ Ein Rivale, der nicht gedenkt das Feld zu räumen, wird herumgeschubst, und ich erhalte einen schmerzhaften Biss, wenn ich meine Finger nicht schnell genug aus der Gefahrenzone wegziehe. Der Igel hört auch auf zu fauchen, weil er meinen Finger nicht wieder loslässt.

Wenn sie sich gestört fühlen, können Igel auch ordentlich knurren.

Aber es gibt auch sehr erfreuliche Laute. Glucksendes Muckern – ähnlich, aber mit etwas weniger Klang und auch meist leiser als das von Meerschweinchen – zeigt, dass die Tiere freudig erregt sind:

Hier riecht es doch nach Abendessen! Aha, es gibt weich gekochte Hühnerflügel! Wo hat sie denn mein Schälchen hingestellt?

Mama Picatchu

Mama Picatchu

 

Diese zarten Töne werden auch als Stimmfühlungslaute eingesetzt, hauptsächlich von Mutter Igel, um ihre kleine Kinderschar zusammenzuhalten und zu beruhigen:

Ihr könnt mir folgen, es ist hier nicht gefährlich. Trödelt nicht so lange herum!

Sehr kleine Igel, maximal 180g schwer, stoßen bei den ersten Spaziergängen im Garten manchmal hintereinander vier bis fünf kurze, gleich hohe Pfiffe aus, wenn sie sich zu weit von mir entfernt haben. Sie haben wohl Angst, allein gelassen worden zu sein. (Mit ganz ähnlicher Tonfolge machen manche Hundebesitzer ihr Tier auf sich aufmerksam, wenn es ohne Leine herumtollt). Diese Töne sind für mich als Ersatzmutter sehr schlecht zu orten, und ich bin froh, dass ich mein Kleinchen zwischen den Grasbüscheln sehen kann. Mutter Igel wird diese Schwierigkeit nicht haben und ihr Junges selbst in dichtem Gebüsch finden. Sind die Tiere auch nur etwas größer, geben sie diese Laute nicht mehr von sich, denn in der Natur sind sie genügend selbständig, und die enge Beziehung zu Mutter Igel löst sich auf.

Lautäußerungen können variiert werden. Gefaucht und geknurrt wird mit verschiedener Intensität, abhängig vom Störungsgrad, aber auch vom Temperament des Tieres. Das Bellen weist ebenfalls Unterschiede auf. Manche Tiere äußern es mit mehr Klang, und dann ist es eindeutig zu unterscheiden vom Husten eines kranken, alten Mannes, eher vergleichbar mit dem Kläffen eines heiseren Koyoten.

Schmerzlaute sind selten. Selbst große Wunden werden wie von allen Wildtieren klaglos ertragen. Wer soll schon zur Hilfe kommen? Eher wird ein Fressfeind angelockt. Schmerzensschreie habe ich nur einmal vor langer Zeit bei einem ganz kleinen Igel gehört, dem ich nicht mehr helfen konnte. Es war furchtbar! Müssen Wunden behandelt werden, geben die Tiere schon hin und wieder kurze, dunkle Abwehrtöne von sich, oder ein Schnaufen ist zu hören, deutlich unterscheidbar von dem Erleichterungsseufzer, wenn die Prozedur überstanden ist.

Im Umgang mit dem Menschen können Igel ihre Sprache sicherlich noch verfeinern. Darauf sollte man es aber nicht anlegen, denn es sind Wildtiere, die wir nur in unsere Obhut nehmen dürfen, wenn sie sonst keine Überlebenschance haben, und wir dürfen sie auch nur behalten, solange die dringende Notwendigkeit menschlicher Pflege besteht.

Man darf sie auf keinen Fall zum Haustier zähmen!

Oh, aber einer unserer Gartenigel hat uns „abgerichtet“!
Igel sind intelligent, und in einem Spätsommer ärgerte er sich wohl, dass die kleine Untertasse von einem Konkurrenten, vielleicht war es auch die Nachbarskatze, schon leer gefressen war. Wahrscheinlich schnupperte er nur unter dem Teller, ob vielleicht ein Krümchen vergessen wurde. Das Klappern des Porzellantellers hörten wir und legten einen Löffel Katzenfutter nach. Von diesem Tag an schubste er die Untertassen so lange auf dem gepflasterten Gartenweg herum, bis er sein Futter bekam oder das Tellerchen irgendwo zwischen Pflanzen festklemmte. Im Winterschlaf hatte er sein Erfolgsrezept nicht vergessen. Wenn es draußen schepperte, wussten wir, dass unser Randalierer wieder da war.

Wir haben etliche Untertassen eingebüßt, denn lange hält Porzellan diesen rüden Umgang nicht aus. Inzwischen machen uns mit diesem Verhalten auch andere Gartenigel auf sich aufmerksam.

 

 

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